GroKo-Sondierungsgespräche
Presseerklärung von DIE LINKE Heidelberg – GroKo-Sondierungsgespräche
Heidelberg, 19. Januar 2018.
Nach dem Versprechen der SPD, keine weitere Große Koalition mit den Unionsparteien einzugehen, sind die jetzigen Sondierungsverhandlungen eine große Enttäuschung. Dasselbe gilt für die nun vorliegenden Beschlüsse.
Diese fallen zwar nicht in allen Bereichen katastrophal aus. So stechen beispielsweise einige Positionen im Bereich Landwirtschaft positiv hervor; etwa das Verbot von Patenten auf Pflanzen und Leben sowie damit einhergehend ein nationales Verbot von Gentechnik. Insgesamt jedoch zeichnet sich in dem Positionspapier eine Fortsetzung der bisherigen Politik des Raubbaus an Mensch und Natur ab.
Für die SPD wird die Fortsetzung der Großen Koalition schwerwiegende Folgen haben. Deshalb appellieren wir an die Genossinnen und Genossen in der SPD: Stellt euch gegen die GroKo! Eine wirklich soziale Politik ist mit der Union nicht machbar!
In den folgenden Abschnitten beziehen wir Stellung zu den wichtigsten Themen des Sondierungspapiers. Außerdem machen wir deutlich, was wir als Linke fordern und wie wir die jeweiligen Probleme auf kommunaler Ebene, in Heidelberg, angehen möchten.
Bildung
Die Bildung ist derzeit mit einer Reihe großer Herausforderungen konfrontiert: Von verstärkter Sprachförderung für Deutsch als Zweitsprache, über Inklusion bis hin zu mangelhafter baulicher Infrastruktur und Lehrermangel. Angesichts des Fachkräftemangels bedarf es zudem einer entschiedenen Förderung der beruflichen Bildung. Auch die Rückkehr zu G9, der Ausbau der Gemeinschaftsschulen und die Vereinheitlichung der verschiedenen Bildungsstandards sind drängende Fragen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wären unter anderem eine Abschaffung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich sowie umfangreiche Investitionen erforderlich.
Doch Union und SPD verkennen diese Herausforderungen fast vollständig. Auch ihre vollmundigen Ziele – Schulsanierung, Ausbau von Ganztagsschulangeboten und Ganztagsbetreuung, eine Verbesserung der beruflichen Bildung, eine Erhöhung des BAföG sowie eine Erhöhung der Bundesausgaben für Forschung und Entwicklung – verpuffen bei näherem Hinsehen wie Tropfen auf einem heißen Stein. Sind etwa für den Ausbau der schulischen Ganztagsangebote bis 2021 Ausgaben von 2 Milliarden Euro geplant, verbleiben den 33.500[1] allgemeinbildenden Schulen in Deutschland davon jährlich jeweils etwa 15.000 Euro – kaum genug für die Anstellung einer Sozialpädagogin in Teilzeit!
Auch künftig räumen Union und SPD der Bildung also offensichtlich keine Priorität ein.
Umwelt
In der vergangenen Legislaturperiode hat es die Große Koalition verabsäumt, den Ausbau der erneuerbaren Energien entschieden voranzutreiben. Das Erreichen der Klimaziele 2020 gilt aufgrund dieses zögerlichen Handelns bereits als gescheitert. Als Trostpflaster verspreche Union und SPD in ihrem Positionspapier einen einmaligen Zubau von Kapazität im Bereich der Wind- und Sonnenenergie (sollte die Netzkapazität dies zulassen). Zudem sollen die Klimaziele für 2030 noch ambitionierter gestaltet werden als bislang. Diese Versicherung erscheint vor dem Hintergrund der bisherigen Entwicklung kaum als glaubwürdig.
Die Linke plädiert stattdessen für einen entschiedenen Ausbau der erneuerbaren Energien. Dabei muss die Energieerzeugung, soweit möglich, in die öffentliche Hand überführt werden. Auch genossenschaftliche Formen der Energiegewinnung – wie die Heidelberger Energiegenossenschaft – zeigen, wie die Energiewende von unten gelingen kann!
Gesundheit
Das ursprünglich von der SPD geforderte „Ende der Zwei-Klassen-Medizin“ ist mit dem Verzicht auf eine allgemeine Bürgerversicherung, wie sie auch die Linke seit Langem fordert, in weite Ferne gerückt. Lediglich die Zusatzbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sollen künftig wieder zu gleichen Teilen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert werden. Die geplante Anstellung von 8.000 Pflegekräften reicht hingegen nicht einmal aus, um in zwei Dritteln der etwa 14.000 Pflegeeinrichtungen in Deutschland[2] eine zusätzliche Pflegekraft einzustellen. In Heidelberg würden mindestens fünf von 13 Pflegeheimen komplett leer ausgehen. In Krankenhäusern ändert sich nichts an dem bestehenden Personal- und Pflegenotstand. Nicht ohne Grund fordert die Linke eine Pflegeoffensive mit der Einstellung von 100.000 Pflegerinnen und Pflegern.
Arbeit
Die SPD-Spitze feiert das „Recht“ auf befristete Teilzeit als Verhandlungserfolg. Doch dieses Recht gilt nur in Betrieben ab 45 Mitarbeitern und in Betrieben bis 200 Mitarbeitern zudem nur für einen von 15 Angestellten. Von einem Rechtsanspruch kann also – ähnlich wie bei dem Transparenzgesetz zur Auskunft von Einkommensdaten – kaum sprechen.
Andererseits sollen künftig mehr Mittel für die Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen aufgebracht werden und Ausbildungsvergütungen im Pflegebereich sind ebenfalls wünschenswert. Doch an dem bestehenden Hartz-Sanktionssystem wird nicht gerüttelt. Und auch die Leiharbeit wird nicht angetastet: Zwar soll das entsprechende Arbeitnehmerüberlassungsgesetz 2019 „evaluiert“ werden, doch eine ernsthafte Infragestellung dieser ausbeuterischen Praxis ist offenbar weder von Union, noch SPD zu erwarten.
Für eine Partei wie die SPD, die ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung sieht und sich den Schutz von Arbeitnehmerrechten regelmäßig auf die Fahnen schreibt, sind die Positionen des Sondierungspapiers beschämend. Als Linke treten wir für ein Verbot sachgrundloser Befristungen und für eine deutliche Anhebung des Mindestlohns ein.
Steuern
Als Linke sehen wir eine faire Beteiligung von Menschen mit hohen Einkommen und großen Vermögen als unerlässlich für ein funktionierendes Gemeinwesen. Leider enthält das Positionspapier – trotz entsprechender Vorhaben der SPD – hierbei keine Neuerungen. Der Spitzensteuersatz wird nicht angehoben, eine Vermögenssteuer ebenso wenig eingeführt – und das, obgleich Deutschland eines der Länder mit der höchsten Vermögensungleichheit in Europa ist!
Als Linke treten wir dagegen für eine angemessene Besteuerung ein. Neben einem höheren Spitzensatz bei der Einkommensteuer und einer Vermögenssteuer fordern wir auf kommunaler Ebene für Heidelberg eine Anhebung des Gewerbesteuer-Hebesatzes. Diese schafft im Gegenzug den finanziellen Spielraum für nötige Investitionen in Soziales und Bildung, wie etwa eine Abschaffung der KiTa-Gebühren!
Mieten und Wohnen
Dass beständig steigende Mieten mittlerweile ein Problem darstellen, hat offenbar selbst die CSU eingesehen. Auch das Problem der Baulandgewinnung ist den Akteuren der GroKo zumindest bewusst. Doch viel zu einseitig setzt das Positionspapier auf steuerliche Anreize für den Wohnungsbau – ohne private Investoren im Gegenzug auf eine langfristige Sozialbindung zu verpflichten. Die Folgen einer solchen Bauförderung lassen sich in der Heidelberger Bahnstadt exemplarisch bestaunen. Wir plädieren daher für eine deutliche Verstärkung des öffentlichen, sozialen Wohnungsbaus und werden diesen auf der kommunalen Ebene soweit wie möglich vorantreiben. Nur so kann eine zunehmende Gentrifizierung der Städte verhindert werden!
In Heidelberg machen wir uns dafür stark, die Konversionsflächen zu großen Teilen für die Schaffung bezahlbaren Wohnraums zu nutzen. Bei der Entwicklung neuer Wohnflächen treten wir für Erbpachtmodelle ebenso ein wie für langfristige Sozialbindungen der beteiligten Investoren. Zudem fordern wir ein stärkeres Engagement der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GGH.
Rente
Das Sicherungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung soll nach dem Willen von Union und SPD erhalten bleiben – aber nur bei 48 Prozent des früheren Einkommens und auch nur bis 2025. Für die Zeit danach setzen die Parteien lieber auf einen Ausbau der privaten Rentenversicherung, um die Beiträge zur gesetzlichen Versicherung zu deckeln. Wohin dies führt ist allen Beteiligten klar: Menschen mit geringem Einkommen, die sich keine private Vorsorge leisten können, landen im Alter in der Grundsicherung – oder alternativ in der geforderten „Grundrente“ für Menschen, die lange gearbeitet haben. Diese soll jedoch auch nur 10 Prozent über dem Grundsicherungsniveau liegen – ein schwacher Trost!
Als Linke fordern wir daher eine solidarische Mindestrente von 1.050 Euro.
Mobilität
Zwar sollen Elektromobilität und ÖPNV künftig weiter gefördert werden, doch die Automobilindustrie möchten Union und SPD lieber nicht in die Pflicht nehmen, allen Betrugsskandalen zum Trotz.
Als Linke sind wir überzeugt, dass eine nachhaltige Verkehrspolitik einerseits die Interessen der Angestellten in der Automobilbranche, andererseits aber auch den Umweltschutz und die Stärkung des ÖPNVs mitdenken muss. Dies geht einher mit staatlichen Investitionen in die Förderung der Infrastruktur der Elektromobilität, wie etwa der Errichtung von Ladesäulen. Andererseits bedarf es eines kräftigen Ausbaus des öffentlichen Nahverkehrs, um nicht nur die Anbindung ländlicher Regionen zu verbessern, sondern auch den motorisierten Individualverkehr zu verringern.
Für Heidelberg fordern wir daher einen fahrscheinlosen ÖPNV, der über eine Kommunalabgabe finanziert werden soll, wie etwa in der belgischen Stadt Hasselt.
Außenpolitik und Migration
Eine Verstärkung der globalen Entwicklungszusammenarbeit, gemeinsame Bekämpfung der Folgen des Klimawandels, faire Bedingungen in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen globalem Süden und Norden – all das bietet das Positionspapier von Union und SPD nicht.
Allen lokalen und regionalen Protesten gegen Freihandelsabkommen wie TTIP, CETA und TISA zum Trotz fordern die Großkoalitionäre einen „freien und fairen“ Handel. Dabei werden alle Erfahrungen, dass Freihandelsabkommen oft verheerende Folgen für Länder des globalen Südens mit sich bringen, vollständig ausgeblendet. Hierzu zählt auch das sogenannte „Landgrabbing“, die Aneignung von Agrarflächen durch große Konzerne, die lokalen Kleinbauern ohne formale Besitzrechtansprüche an ihrem Land oftmals jede Existenzgrundlage entzieht und durch die Errichtung großer Monokulturen auch ökologisch katastrophale Auswirkungen zeigt. Als Linke setzen wir uns daher, auch in Heidelberg, bereits seit Langem in Bündnissen gegen Freihandelsabkommen ein. Nach Vorstellung von Union und SPD jedoch sollen derartige Abkommen, insbesondere mit afrikanischen Staaten, künftig zum „Außenhandelsförderinstrumentarium“ Deutschlands gehören.
Die versprochene Bekämpfung von Fluchtursachen wird dadurch ebenso unterlaufen wie durch das vage Versprechen einer schärferen Beschränkung von Waffenexporten, die in den letzten Jahren trotz einiger Lippenbekenntnisse der SPD immer wieder neue Umsatzrekorde erzielten.
Stattdessen soll die von Skandalen und Inkompetenz gebeutelte Bundeswehr weiter kräftig aufgerüstet werden – Entwicklung eigener Drohnen inklusive.
Die Schaffung eines Fachkräfte-Zuwanderungsgesetzes im Sinne einer „verdienstbasierten“ Zuwanderung ist zudem Ausdruck einer Mentalität, die Menschen allein nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit beurteilt.
In dieses Muster passt auch die geforderte „Obergrenze“ für Geflüchtete, die (zum Glück) de facto keine ist: Union und SPD meinen lediglich, dass in den kommenden Jahren ohnehin weniger als 220.000 Geflüchtete Deutschland erreichen. Dafür wollen sie einerseits sorgen, indem sie den Familiennachzug scharf begrenzen und damit ein wesentliches Grundrecht aushebeln und Integrationsbemühungen einen Stock in die Beine werfen. Zudem zeichnet sich deutlich ab, dass alle beteiligten Partner der Großen Koalition für eine weitere Abriegelung der Festung Europa eintreten. Die Freizügigkeit innerhalb Europas wird bei dieser Politik auf Kosten einer Einschränkung der Freizügigkeit auf dem afrikanischen Kontinent erkauft. Die Kooperation der EU mit den dortigen Grenzschutzregimes hat verheerende Folgen, gegen die die Linke vehement eintritt!
Obgleich Union und SPD zumindest bemüht erscheinen, eine hetzerische Rhetorik zu vermeiden, machen diese Positionen deutlich, wie stark die Positionen der AfD den politischen Diskurs in den letzten Jahren verschoben haben.
Europäische Union
Die EU ist sowohl für Angela Merkel, aber vor allem auch Martin Schulz, ein wichtiges Thema. Tatsächlich finden sich dementsprechend in dem Sondierungspapier einige Vorschläge zur Entwicklung der EU, wie beispielsweise der Einführung eines Rahmens für Grundsicherung und Mindestlöhne sowie eines Investitionsfonds. Doch inwieweit diese Maßnahmen über die bereits vor zwei Jahren beschlossene Europäische Säule sozialer Grundrechte hinausgehen – und ob sie sich in diesem Fall überhaupt durchsetzen lassen – scheint fraglich. Und auch das Festhalten am Ziel einer Finanztransaktionssteuer und der Bekämpfung von Steuerdumping hinterlässt einen faden Beigeschmack – waren entsprechende Forderungen doch bereits Teil des letzten Koalitionsvertrags…
Digitalisierung
Die Digitalisierung bleibt für Union und SPD ein leeres Signalwort – sie scheinen keinerlei Vorstellung zu haben, was es mit diesem Begriff eigentlich auf sich hat. Dies zeigt sich exemplarisch am Beispiel des Breitbandausbaus: Nachdem dieser vor allem in ländlichen Regionen lange vernachlässigt wurde, soll er nun auch erst bis 2025 abgeschlossen werden. Anders als beispielsweise im vorbildlichen Estland werden private Netzbetreiber jedoch nicht in die Pflicht genommen, den Ausbau mit Glasfaserkabeln auch innerhalb von Gebäuden voranzutreiben. Ältere Gebäude – auch in Heidelberg – sind jedoch meist mit alten Kupferkabeln ausgestattet. Schnelle Internet-Übertragungsraten enden dann am Verteilerkasten auf der Straße und die Nutzer profitieren kaum.
[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/235954/umfrage/allgemeinbildende-schulen-in-deutschland-nach-schulart/
[2] https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/Pflege/Tabellen/PflegeeinrichtungenDeutschland.html